Mein Finnisch ist ja nun wahrhaftig nicht so toll, von den Nachrichten im Radio verstehe
ich gerade mal den Wetterbericht - aber es verhilft mir doch immer wieder zu schönen
Erlebnissen. Ich glaube, ein Land, dessen Sprache ich überhaupt nicht verstehe,
könnte ich niemals so ins Herz schließen...
Es müssen ja nicht immer die spektakulären Erlebnisse sein, so wie in einer
Jugendherberge in Westfinnland, in der ich übernachten wollte, als ich plötzlich
eine Frau rufen hörte: "Hirvi, hirvi!" Sofort schnappte ich meine Videokamera
und rannte hinaus. Tatsächlich: da marschierte eine Elchkuh mitten zwischen den
Häusern hindurch!
Immer in Deckung rannte ich hinter dem Tier her, das ein paar hundert Meter weiter
zwischen zwei Feldern an einer Hecke stehen blieb und begann, deren Blätter abzurupfen.
Klar, dass es mich längst bemerkt hatte. Es schaute immer wieder aufmerksam in meine
Richtung. Ich bewegte mich langsam und unverdächtig seitwärts an der Elchkuh vorbei,
wobei ich aber eine Spirale beschrieb und mich ihr auf diese Weise unauffällig näherte.
Als ich sie dann formatfüllend im Sucher hatte, hockte ich mich ins Gras und ließ die
Kamera einfach laufen. Unglaublich: dieses merkwürdige Verhalten machte das Tier so
neugierig, dass es sogar ein paar Schritte auf mich zu lief! Dann widmete es sich wieder der
Hecke. Nach einigen Minuten hatte ich genug gefilmt und zog mich wieder langsam zurück.
Wer weiß, wie scheu Elche normalerweise sind und wie selten man überhaupt einen sieht,
der kann ermessen, was ich hier meinen Sprachkenntnissen verdanken konnte!
Aber es gibt auch die kleinen, unbedeutenden, aber nicht minder schönen Erlebnisse.
Wenn ich schon mal am Inari-See bin, kann ich ja auch noch
weiter fahren und mal sehen, wie es denn an der obersten Ecke Finnlands aussieht. So fuhr ich
über Utsjoki nach Nuorgam und weiter bis zur norwegischen Grenze, die eigentlich gar keine
richtige Grenze im gewohnten Sinne ist: keine Zollstation, keine Beamten, nur für die Straße
eine Lücke in einem Maschendrahtzaun, der unten, wo er auf den Grenzfluss trifft, 50 Meter
vor dem Ufer in einer unordentlichen Rolle aufhört. Zusammen mit dem dicken gelben Grenzstein
ergab das ein paar recht interessante Motive.
Während ich so am Fotografieren war, näherten sich mir vier Kinder: zwei Mädchen,
vielleicht fünf oder sechs Jahre alt, und zwei kleinere Jungen. Sie begrüßten mich
schon von weitem "Iltaa!", und ich grüßte "Iltaa!" zurück. Dann
rief eins der Mädchen mir zu: "Oletko suomalainen?" Eine Frage, die direkt neben
der Grenze durchaus ihre Berechtigung hatte. "Olen saksalainen", antwortete ich.
Irgendwie machten die Kinder einen enttäuschten Eindruck, sie wollten sich wohl mit mir
unterhalten. Also fügte ich hinzu: "Mutta puhun vähän suomea" und
peilte mein nächstes Motiv an. "Otatko valokuvia?" war die nächste Frage.
"Kyllä", sagte ich, "otan kuvia rajasta." "Tuossa on Norrrrja",
verkündete das eine Mädchen mit wichtiger Miene. "Tiedän", meinte ich
und beneidete sie um ihr herrlich rollendes "r". Dann wollten sie wissen, wie ich heiße,
und ich fragte sie nach ihren Namen. "Milloin tulit Nuorgamiin?" "Juuri nyt",
sagte ich. Die Kinder machten irgendwie einen irritierten Eindruck, meine Antwort schien nicht
zu passen, aber ich wusste nicht, warum.
Nun hatte ich genug fotografiert, ging ans Wasser und suchte nach einem schönen Stein als
Reiseandenken. Ich fand einen fast ebenmäßigen Stein, der die Form eines dreiseitigen
Pyramidenstumpfes mit abgerundeten Ecken hatte, grau mit einer gelbbraunen Grundfläche.
Dieser sah außergewöhnlich genug aus, um mitgenommen zu werden. Ich wusch die Algenschicht
ab und zeigte den Stein den Kindern: "Tämä on matkamuistoni tästä
paikasta."
Das jüngere Mädchen fing wieder an zu fragen: "Millä tulit Nuorgamiin?"
Ich verstand wieder "milloin", wunderte mich zwar, aber antwortete wieder "juuri
nyt". Die Kinder kicherten und amüsierten sich königlich, weil ich sie falsch
verstanden hatte. Die Kleine lachte mir mit ihrer riesigen Zahnlücke voll ins Gesicht und
wiederholte ganz langsam: "Milllllllä!" Hmm, dachte ich, die Endsilbe -lla kann
ja nun alles mögliche bedeuten. Bei was? Wobei? An was? Woran? Während ich noch
grübelte, kam mir die ältere zu Hilfe: "Junalla tai linja-autolla tai..."
Jetzt dämmerte es mir endlich: Womit? "Minulla on oma auto", antwortete
ich. Ich begann, das Flussufer hoch zu steigen. Die Kinder folgten mir. Oben lagen ihre
Fahrräder in der Nähe meines Autos. "Tämä on sinun autosi", rief
eines der Kinder. "Kyllä", sagte ich. "Ja tämä on minun autoni",
lachte das Mädchen mit der Zahnlücke und hob eins der Fahrräder auf. Dann radelten
sie an mir vorbei und riefen "terveisiä Saksaan" und "terveisiä
vanhemmillesi". "Kiitos samoin", rief ich zurück, dann waren sie verschwunden.
Ich glaube, diese Nachhilfestunde mit Zahnlücke werde ich mein Leben lang nicht vergessen...
Hirvi | Elch | |
Iltaa! | 'n Abend! | |
Oletko suomalainen? | Bist Du ein Finne? | |
Olen saksalainen | Ich bin ein Deutscher | |
Mutta puhun vähän suomea | Aber ich spreche ein wenig Finnisch | |
Otatko valokuvia? | Machst Du Fotos? | |
Kyllä | Ja (gewiss) | |
Otan kuvia rajasta | Ich mache Bilder von der Grenze | |
Tuossa on Norja | Dort ist Norwegen | |
Tiedän | Ich weiß | |
Milloin tulit Nuorgamiin? | Wann kamst Du nach Nuorgam? | |
Juuri nyt | Gerade jetzt | |
Tämä on matkamuistoni tästä paikasta | Das ist mein Reiseandenken von dieser Stelle | |
Junalla tai linja-autolla | Mit dem Zug oder mit dem Autobus | |
Minulla on oma auto | Ich habe ein eigenes Auto | |
Tämä on sinun autosi | Das ist dein Auto | |
Ja tämä on minun autoni | Und das ist mein Auto | |
Terveisiä Saksaan | Grüße nach Deutschland | |
Terveisiä vanhemmillesi | Grüße an deine Eltern | |
Kiitos samoin | Danke gleichfalls |