Die automatische
Musiktitel-Auswahl

Nachdem ich meinen ersten CD-Player gekauft hatte, fand ich es sehr angenehm, die abzuspielenden Titel programmieren zu können, denn es gibt kaum eine CD, auf der mir sämtliche Titel gefallen, ohne dass ich den einen oder anderen Titel überspringen möchte.

Allerdings fand ich es mit der Zeit doch etwas unbequem, diesen Programmiervorgang bei jeder CD zu wiederholen. Es wäre doch viel bequemer, wenn jede CD sich selbst programmieren würde! Ich entwarf also einen kreisförmigen Aufkleber, der 20 Felder hat, auf dem man die unerwünschten Titelnummern schwarz markieren kann. Zusätzliche schwarze und weiße Felder dienen der Erkennung des Anfangs der Markierungen und zur Synchronisation. Allerdings ist es bei CDs, die bis zum Rand bedruckt sind, notwendig, den Rand mit Farbe (z.B. Tipp-Ex) weiß zu bemalen.

Ein kleines Mikroprozessorsystem mit einer Z-80 CPU liest mit Hilfe einer Infrarot-Reflex-Lichtschranke die Markierungen, wertet sie aus und programmiert dann den CD-Player. Dazu waren natürlich erhebliche Eingriffe in die Elektronik notwendig, aber ich hatte mir das Schaltbild des Gerätes besorgt. Das Programm wird durch Einschalten des Players bzw. durch das Einfahren der CD-Schublade gestartet. Um letzters zu erkennen, wird eine Regelspannung von der Steuerelektronik des Schubladenmotors abgezapft. Anhand einer weiteren Regelspannung, die von der Steuerelektronik des Spindelmotors abgezapft wird, erkennt das System, wann die CD ihre Sollgeschwindigkeit erreicht hat. Dann wartet das System auf die lange schwarze Markierung, die den Anfang des Etiketts kennzeichnet, und speichert schnell 300 Ablesungen der Lichtschranke in seinen Speicher. Dann wartet das System, bis der Player das Inhaltsverzeichnis der CD gelesen und die CD gestoppt hat. Nun trennt das System die Verbindung zwischen dem Infrarotsensor für die Fernsteuerung und der CD-Player-Elektronik und schaltet sich dazwischen. Dieser Zustand wird an der Vorderseite des CD-Players durch eine Leuchtdiode angezeigt. Dann werden die 300 Ablesungen rückwärts untersucht, bis das Ende des Etiketts gefunden wird, der gefundene Bereich wird durch 20 geteilt, und in der Mitte jedes dieser Teilbereiche wird überprüft, ob dieser Bereich schwarz oder weiß ist. Ist er weiß, dann erzeugt das System die Impulse, die die Fernbedienung senden würde, wenn die betreffende Titelnummer programmiert würde. Auf diese Weise werden alle Titel programmiert, die gespielt werden sollen, abschließend erzeugt das System noch den Befehl "Abspielen", stellt die Verbindung zwischen dem Infrarotsensor und der CD-Player-Elektronik wieder her und versetzt sich selbst in einen inaktiven Zustand.

So weit, so gut. Nun war ich aber der Meinung, dass diese Erfindung (im Gegensatz zu den meisten anderen, die ich bislang gemacht hatte) durchaus verwertbar und verkaufbar wäre. Bloß: patentieren lassen mochte ich sie nicht selbst, denn ein Patent allein für Deutschland ist schon teuer genug - und ziemlich sinnlos, wenn man seine Erfindung nicht gleich europaweit schützen lässt und (besonders im Bereich der Unterhaltungselektronik) nicht auch noch die USA und Fernost mit hinein nimmt. Ich schrieb also einen Brief an Pioneer (weil es sich um einen Pioneer CD-Player handelte), in dem ich das Prinzip meiner Erfindung schilderte, und als wochenlang keine Antwort kam, schrieb ich auch noch einen Brief an Grundig (um es bei einer deutschen Firma zu versuchen), was aber ebenso vergeblich war.

vergrößern
Also entschloss ich mich, meine Erfindung über die Zeitung bekannt zu machen. Durch meine Eier-Aufschneide-Maschine hatte ich den Journalist Klaus Partzsch von der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung kennengelernt, dessen Aufforderung "wenn Sie mal wieder etwas haben, rufen Sie mich an" noch in meinem Ohr klang. Etwas ratlos saß er an meinem Wohnzimmertisch und betrachtete das geöffnete Gerät: "Erklären Sie mir das mal ganz genau, ich besitze nämlich gar keinen CD-Spieler." Nun ja, ich tat es, aber die Story schien ihm doch etwas dünn zu sein, sodass er noch ein paar alte Sachen in seinen Bericht mit einfügte, über die er längst an anderer Stelle geschrieben hatte. Und da der gute "klapa", wie er oft seine Artikel unterschrieb, inzwischen gestorben ist, sei ihm auch verziehen, dass er mein schönes Z-80-System "ein paar Dioden" genannt hat.

Gleich am Morgen, bevor ich zur Arbeit ging, klingelte das Telefon. Ein Mitarbeiter der hannoverschen Niederlassung der Thomson-Brandt hatte den Artikel bereits gelesen und teilte mir sein Bedauern mit, dass ich mich an die Zeitung gewandt hatte anstatt an ihn. Sorry, aber von dieser Firma hatte ich noch nie etwas gehört! (Es handelt sich um einen riesigen Konzern, der u.a. die deutschen Hersteller für Unterhaltungselektronik Nordmende, Saba und Telefunken gekauft hat.) Der Mann lud mich ein, ich brachte mein Gerät und eine Vorführ-CD mit, und bald war ein Vertrag unterzeichnet: Thomson Brandt lässt die Erfindung patentieren, und ich erhalte 1.000,- DM sowie die mündliche Zusage, bei Erfolg der Erfindung weitere Prämien zu bekommen.

So einfach war es dann aber doch nicht. Es stellte sich heraus, dass noch ein gewisser Herr Kühn eine ganz ähnliche Erfindung gemacht hatte, wobei sein Etikett aber die gesamte CD bedeckte. Vorteil: man konnte auch die Reihenfolge der gewünschten Titel bestimmen. Nachteil: der Anwender musste das Dualzahlen-System lernen, und man konnte den Aufdruck der CD nicht mehr sehen. Herr Kühn wurde also mit in das Boot genommen. Zur europäischen Patentschrift des Systems zur Wiedergabeprogrammierung von auf einem Aufzeichnungsträger gespeicherten Aufzeichnungsbeiträgen beim Deutschen Patentamt kamen nach und nach noch diverse andere Patente hinzu bis Thailand und Fernost.

Der Leser wird meine Erfindung vergeblich in den Läden suchen, und ich denke, der Fortschritt mit MiniDisk, CD-Brennern und MP3-Playern wird sie in absehbarer Zeit sowieso überflüssig gemacht haben. Aber meine 1000 Mark habe ich auf jeden Fall in der Tasche!