Die Reisschleuder

Bei Hochzeiten gibt es viele schöne Bräuche. Zum Beispiel Reis werfen. Oder sich von hinterhältigen Verwandten den Schlüssel zur Wohnung des Brautpaares geben zu lassen und diese kreativ ein wenig umzugestalten. Oder beides gleichzeitig!

Diese Reisschleuder nach dem Vorbild römischer Steinschleudern konstruierte ich aus einer Rattenfalle und ein paar alten Holzresten. Es kam ja nicht auf Schönheit an, sondern auf die Funktion. Der Bügel der Falle wurde mit Sperrholz verlängert und mit einem Plastikbecher versehen. Die Falle wurde schräg montiert, damit der Becher eine möglichst lange Bogenstrecke zurücklegen kann, denn es ist klar: je länger die Beschleunigung dauert, desto höher ist die Endgeschwindigkeit. Am Auslöser der Rattenfalle befindet sich ein Faden, den man an einer geeigneten Tür befestigt. Wird die Tür geöffnet, wird der Faden gezogen und so die Schleuder ausgelöst.

Diese Reisschleuder baute ich für Sunna und Detlef, danach kam sie bei Heike und Michael zum Einsatz. Und damit begann die Ungewissheit: hatte die Schleuder planmäßig funktioniert? Detlef berichtete von einem vollen Erfolg. Aber er ist ein netter Kerl, vielleicht hatte er nur gelogen, um mich nicht zu enttäuschen. Heike dagegen behauptete, sie hätte die Tür gaaanz langsam aufgemacht, und die Reisladung sei nur gegen die Tür geprasselt. Aber sie hat eine Menge Fantasie und Schabernack im Kopf, vielleicht wollte sie mir den Spaß nicht gönnen. Als dann Sabine und Heino heirateten, beschloss ich, dem großen Defizit der Schleuder abzuhelfen: dass man nicht dabei ist, wenn sie aktiv wird!

Während die anderen Mittäter das Schlafzimmer mit Luftballons und das Waschbecken mit Götterspeise füllten und was dergleichen derbe Späße mehr sind, baute ich die Schleuder auf. Einen Schalter am Bügel der Rattenfalle schloss ich am Auslösekontakt meiner Kamera an. Ich darf dazu in aller Bescheidenheit erwähnen, dass es sich dabei um eine Canon T90 handelte, die etwa 4 Bilder pro Sekunde schießen kann, und dass ich sie mit meinem ebenso leistungsfähigen Mecablitz 60 CT-4 verband. Bereits zu Hause hatte ich die Einstellungen ausprobiert, mit der das Blitzgerät diese 4 Bilder pro Sekunde ausleuchten kann, und zwar mindestens so lange, bis ein Film komplett vollgeknipst ist. Nachdem alles aufgebaut war, legte ich noch eine Gebrauchsanweisung bei, wie hinterher die Sachen auszuschalten und auseinander zu bauen seien.

Falls sich jemand fragt, warum ich keine Videokamera benutzt hatte: erstens besaß ich damals noch keine, zweitens hätte das Videoband ständig laufen müssen und wäre vielleicht voll gewesen, bevor das Brautpaar nach Hause kommt, und drittens hätte auch ständig eine Beleuchtung brennen müssen und hätte vielleicht das Misstrauen des Brautpaares erregt. Und die Schleuder verliert natürlich ihre Wirkung, wenn die Tür allzu zögerlich geöffnet wird.

An den Fotos, die ich eingescannt und zu einer Animation verarbeitet habe, sieht man jedenfalls sehr gut, wie Sabine (die sich inzwischen des lästigen Brautkleides entledigt hatte) sich erst fürchterlich erschrickt, als die Ladung Reis unter Blitzlichtgewitter auf sie zufliegt, wie sie offensichtlich einen Schrei ausstößt und wie sie sich aber doch sehr schnell fasst und zu lachen anfängt.