Ideen fallen normalerweise nicht vom Himmel. Es kam leider auch keine
schöne Fee, die mich küsste und mir ins Ohr flüsterte
"Bau doch mal ein Gerät, das Musik komponiert". Nein,
es begann mit einer Kette von Inspirationen.
In einer Ausgabe von
elektor entdeckte ich eine Schaltung, mit der man
Lissajou-Figuren auf einem Oszilloskop darstellen kann, indem man
zwei abschwellende Sinussignale erzeugt. Das sah sehr hübsch
aus. Irgendwie kam mir die Idee, einen Kopfhörer an den Ausgang
zu halten, um zu hören, wie das Signal klingt. Es machte
"ping... ping...", als ob eine kleine Glocke angeschlagen
würde. Interessant! Ich lötete acht Potentiometer hinzu,
die ich auf die Grundtöne einer Tonleiter stimmte, nun hatte
ich eine Art Xylophon. Dann kam mir die Idee, die Töne durch
einen Zufallsgenerator variieren zu lassen, dann baute ich drei
Tongeneratoren hinzu, die einen orgelähnlichen Dreiklang-Akkord
als Hintergrundbegleitung spielten... und dann kam mir die Idee, dass
diese Orgel verschiedene Akkordschemata beherrschen sollte und dass
die Töne, die der Zufallsgenerator auswählt, nur solche
sein sollten, die auch harmonisch zu den Orgelakkorden passen.
(Womit das Funktionsprinzip eigentlich schon erklärt ist.)
OK, fangen wir also noch mal von vorn an, aber diesmal richtig.
Ich baute die gesamte Elektronik in eine DIN-A4-große
Holzkiste ein. Wichtig war mir dabei, dass die Orgel einen halbwegs
natürlichen Klang bekommt. Natürliche Instrumente haben
nämlich anharmonische Obertöne, das heißt, die
Obertöne sind nicht genaue Vielfache des Grundtons, sondern
liegen eine Nuance daneben. Von meinem elektronischen Klavier
Yamaha CP30 hatte ich mir das Prinzip
abgeschaut: jeder Ton wurde zweifach erzeugt, wobei man die Töne
gegeneinander verstimmen konnte. Deshalb baute ich auch in mein
Gerät sozusagen zwei "Orgeln" ein. Und natürlich
durfte auch ein Bass nicht fehlen. Nachdem ich alle Töne mit
Hilfe der 31 Potentiometer mühsam gestimmt hatte, kam wirklich
hörenswerte Musik aus dem Lautsprecher. Leider stellte es
sich mit der Zeit heraus, dass sich die Töne verstimmten und
immer wieder nachgestimmt werden mussten. Das fand ich doch recht
unbefriedigend.
OK, fangen wir also noch mal von vorn an, aber diesmal richtig. Und
zwar voll digital! In einem Geschäft für elektronische
Orgeln kaufte ich mir zwei Teiler-ICs, die mit einer Frequenz von
1 MHz "gefüttert" werden müssen und dann die
Frequenzen für alle 12 Halbtöne einer Tonleiter ausgeben.
Das eine IC bekommt direkt 1 MHz aus einem Quarzoszillator, das
andere bekommt die selbe Frequenz, wobei aber ein Zähler jeden
128. Impuls unterdrückt. Diese eigentlich etwas unsaubere
Methode genügt, um die oben erwähnte Verstimmung zu
bewirken. Für die Melodietöne wandelt ein starker
Tiefpassfilter die Rechteck-Impulse annähernd sinusförmig
um, nachdem sie von einer absinkenden Hüllkurve überlagert
wurden. So entsteht aus der Rechteckwelle der gewünschte
Glockenton. Der Rest gleicht weitgehend dem ersten Gerät:
weitere Teiler erzeugen die Frequenzen für den Bass und die
beiden Orgeln. Bei den Orgeln werden für jeden Ton die
Frequenzen von mehreren Oktaven über Widerstände
zusammengeführt, was einen sehr vollen, obertonreichen Klang
ergibt. Da sämtliche Töne direkt von der 1-MHz-Frequenz
abgeleitet werden, kann sich nichts verstimmen. Lediglich der
Zufallsgenerator arbeitet (logischerweise) mit ungeregelten
Frequenzen: zwei voneinander unabhängig erzeugte Rechteckimpulse
werden überlagert. Je nachdem, wie weit sie sich überlappen,
entsteht ein Impuls mit zufälliger Länge. Dieser schaltet
eine hohe Frequenz ein, sodass daraus eine kurze Folge mit einer
zufälligen Anzahl von Impulsen entsteht. Diese Impulsfolge wird
in ein Zähler-IC geschickt, das sozusagen ein Roulett-Rad bildet,
das sich so lange dreht, wie Impulse ankommen. Der Zählerstand
am Ende der Impulsfolge ist deshalb völlig zufällig.
Die musikalische Seite sieht so aus: über eine Diodenmatrix sind
acht Akkordschemata festgelegt, die alle mit C-dur beginnen und so
enden, dass anschließend wieder ein C-dur-Akkord folgen kann.
Zum Beispiel: C-dur, A-moll, F-dur, G-dur oder C-dur, E-moll, D-moll,
F-dur. Durch eine weitere Diodenmatrix ist festgelegt, welche vier
Melodietöne jeweils zu einem Akkord harmonisch passen, zum
Beispiel für F-dur die Töne C, D, F und A. Eine dritte
Diodenmatrix bestimmt, aus welchen Tönen die sechs Akkorde
jeweils aufgebaut sind. Jeder Akkord dauert einen 4/4-Takt lang, die
Melodietöne sind normalerweise Viertelnoten, wobei diese mit
gewisser Wahrscheinlichkeit durch eine Pause oder zwei Achtelnoten
ersetzt werden kann. Bei den Achtelnoten ist noch die Besonderheit,
dass nur die erste (betonte) Note dem Harmonieschema folgt,
während die zweite (unbetonte) Note völlig frei
ausgewählt wird.
Das Ganze ist natürlich wieder mal völlig frei
verdrahtet, denn es handelt sich im Grunde genommen um einen
Experimentier-Aufbau. Es funktionierte ja längst nicht alles
auf Anhieb so, wie es sollte – vieles musste geändert
und verbessert werden. Die gesamte Elektronik steckt in einem
Acrylglas-Gehäuse, in das ich mir die Beschriftung eingravieren
ließ. Ich hatte mir natürlich auch überlegt, die
Steuerung als Z-80-System zu realisieren, war aber zu der Meinung
gelangt, dass der Hardware-Aufwand etwa genau so groß sein
würde, denn all die Frequenzteiler wären nicht einzusparen
gewesen, und die CPU samt Speicher- und Portbausteinen hätte
ebenfalls eine riesige Lötarbeit bedeutet.
In dem Gehäuse stecken massenweise LEDs, die alle etwas mit
der Musik und ihrem Takt zu tun haben. Die roten LEDs bilden
Lauflichtketten, deren Geschwindigkeit von der Frequenz der
Basstöne abhängt. Die grünen Lauflichtketten werden
mit jedem Melodieton weiterbewegt. Die gelben LEDs flackern rein
zufällig mit jedem Vierteltakt, während vier organgefarbene
LEDs die vier Takte eines Akkordschemas anzeigen. Drei grüne
LEDs entsprechen den Dur-Akkorden und drei gelbe den Moll-Akkorden,
wobei sie so angeordnet sind wie die entsprechenden Knöpfe bei
einem Akkordeon. Die LED, deren Akkord gerade erklingt, schaltet auf
rote Farbe um. Last not least sieht man in blau die Melodie-Note,
die gerade gespielt wird. Ursprünglich (das heißt Ende
der 80-er Jahre) hatte ich blau gefärbte Glühlämpchen
eingebaut, tauschte sie aber im Jahr 2000 gegen blaue LEDs aus,
nachdem diese einigermaßen preiswert geworden waren.
Das Gerät taufte ich auf den Namen "Synthomelodicon",
weil es auf synthetische Weise Melodien erzeugt.