Wasserwandern auf dem Inari-See

Ganz oben im Nordosten Finnlands, weit jenseits des Polarkreises, findet man den mit ca. 1000 qkm drittgrößten See Finnlands: den Inari.

Schon lange hatte ich vor, diesen See mal zu besuchen, aber erst im Sommer 1994 (ich hatte endlich mal vier Wochen Urlaub) war mir die Entfernung nicht mehr zu groß. Immerhin sind es von Helsinki bis Inari (dem gleichnamigen Ort am Westufer des Sees) noch 1164 km...

Zur Winterzeit wird in Lappland sehr viel Skilanglauf getrieben. Deshalb gibt es dort auch zahlreiche Schutzhütten. Die meisten stehen in den Nationalparks, aber einige sind auch auf den Inseln des Inari verteilt, vor allem im südlichen Teil des Sees. Diese Schutzhütten sind nicht bewirtschaftet. Man muss alles selbst mitbringen, aber dafür ist die Benutzung völlig kostenlos. In jeder Hütte gibt es einen Ofen oder eine offene Feuerstelle, und neben der Hütte steht immer ein Schuppen mit reichlich Brennholz zur freien Verfügung. Der Benutzer ist nur verpflichtet, am nächsten Morgen so viel Holz aus dem Schuppen zu hacken und in die Hütte zu tragen, wie er zuvor verbrannt hat. Teilweise findet man auch einen Gaskocher und ein Funktelefon für Notfälle vor. Im Winter muss es dort wohl sehr turbulent zugehen, denn zu einer gewissen Zeit haben Skiläufer laut Vorschrift absolute Priorität vor Motorschlittenfahrern. Im Sommer aber schien es mir umso ruhiger zu sein, denn teilweise war ich ganz allein in einer Hütte. Dann übernachten dort vor allem Hobbyfischer. Nur einmal sah ich einen Kanufahrer in der Ferne, ansonsten las ich von Wasserwanderern nur in den Gästebüchern, die in den Hütten liegen und in denen Einträge auch in deutsch, schwedisch, englisch und französisch zu finden sind.

In diesen Gästebüchern las ich zum Teil auch unerfreuliche Berichte: von Skiläufern, die bei jedem Schritt durch die verharschte Schneedecke brachen, von nassgewordenen Schlafsäcken und von erschöpften Kanufahrern, die wegen zu starken Gegenwindes ihr geplantes Ziel nicht erreicht hatten und umkehren mussten. Nun, solche Anstrengungen zu erdulden hatte ich nicht vor. Ich hatte ja mein "Banana Boot" dabei, ein drei Meter langes, zusammenklappbares Segelboot, das mich mühe- und vor allem geräuschlos zu meinen Zielen bringen sollte.

1. Tag

In Ivalo (10 km von der Südspitze des Inari entfernt) besorgte ich noch ein paar Lebensmittel. Bei der Touristeninformation kaufte ich das Allerwichtigste: eine Karte im Maßstab 1:50.000 vom Inari. Sie kostete zwar umgerechnet etwa 50 DM, aber das musste sein. Ohne eine solche Karte ist ein Verirren in dem Inselwirrwarr nämlich praktisch vorprogrammiert. Auf der Karte findet man nicht nur jede kleinste Insel, sondern auch Untiefen, Stellen mit unsicherem Eis im Winter und Motorschlittenrouten. Natürlich sind auch Wassertiefen und alle Seezeichen eingetragen, mit deren Hilfe man sich auf dem Wasser orientiert: Peilmarken am Ufer, je nach Standort rote, grüne oder schwarzweiße Pfähle sowie mit Buchstaben gekennzeichnete Orientierungsmarken. Außerdem sind in der 1:200.000er Straßenkarte nicht alle Schutzhütten eingezeichnet.

Solche Seezeichen sind aber nur auf den gebräuchlichen Routen vorhanden. Wenn man diese verlässt, kann auch ein einfacher Kompass hin und wieder sehr nützlich sein. Das Wichtigste für die Orientierung aber ist Übung. "Die Insel da vorn, welche ist das denn auf der Karte?" bzw. umgekehrt, das ist anfangs ziemlich schwierig. Man muss erst lernen, aus der Froschperspektive ohne weitere Anhaltspunkte Entfernungen zu schätzen. Aber gerade das macht die Fahrt ja interessant. Dagegen ist das Steinhuder Meer doch wirklich langweilig!

Bestes Startwetter in Veskoniemi

So mit allem ausgerüstet, fuhr ich aber nicht zu dem Ort Inari, sondern zu einer kleinen Ansammlung von Häusern namens Veskoniemi, die am Südufer liegt. Von dort ist es nämlich viel näher zu den ersten Schutzhütten als von Inari aus, denn am ersten Tag hat man ja wegen Anfahrt und Vorbereitungen nicht so viel Zeit zum Segeln.

In Veskoniemi fand ich einen zentralen Ausgangspunkt für Bootstouren vor: mehrere Stege, Benzintanks, eine Art Verwaltungsgebäude, eine Telefonzelle, reichlich Parkplätze und eine asphaltierte Rampe, die ins Wasser führt.

Ich nahm mein Boot vom Autodach, klappte es auseinander und baute alle Teile ein: Sitzbänke, Steuerruder, Seitenschwerter, Ruderdollen (für den Fall einer längeren Flaute habe ich immer ein Paar Ruder dabei), Mast und Segel. Ich schob das Boot ins Wasser und lud es voller Gepäck: Zelt (falls ich eine Hütte nicht erreiche), Schlafsack (in einen Müllsack verpackt), Lebensmittel und Gaskocher, Ölzeug, meine Kameraausrüstung und was man sonst noch alles so braucht. Dann stach ich in See.

Eingang zur Eishöhle auf Korkia-Maura

Das Wetter konnte gar nicht besser sein: bei strahlender Nachmittagsonne trieb mich ein kräftiger Rückenwind schnell nach Norden. Schon nach einer Stunde hatte ich mein erstes, sieben Kilometer entferntes Ziel erreicht: die Eishöhle auf der Insel Korkia-Maura. Ein großer Steg lädt zum Anlegen ein, und ein deutlicher Pfad führte mich zu einer Feuerstelle, wo ein paar mehrsprachige Informationstafeln stehen. Hier ist zu lesen, dass es in der Höhle eine 15 Meter dicke Schicht aus ewigem Eis gibt, die im Sommer nur zu einem geringen Teil weggschmilzt. Hier hatten früher Wilderer ihre Beute versteckt und "konserviert". Doch wo war die Höhle? Ich folgte dem Pfad zu einem Haufen großer Felsbrocken. Hier musste ich eine Zeitlang suchen, bis ich einen völlig unscheinbaren Spalt entdeckte, in den ich gebückt hineingehen konnte. Nach ein paar Schritten stieß ich auf eine einfache Leiter, die etwa zwei Meter in die Tiefe führt. Ich stieg hinab, wobei es immer kälter und auch immer dunkler wurde. Nein, eine Taschenlampe hatte ich in das Land der Mitternachtssonne natürlich nicht mitgenommen! Unten ging es noch ein Stückchen waagerecht, dann war da plötzlich Wasser. Vorsichtig ertastete ich mit der Stiefelspitze die Tiefe. Ich konnte in dem Wasser stehen, aber ich musste mich festhalten, denn der Untergrund war eisglatt, im wahrsten Sinne des Wortes. Ich durchquerte die wenige Meter durchmessende Eishöhle. Dabei stieg das Eis leicht an und lag dann oberhalb des Wassers. Das Ende der Höhle bilden ein paar große Felsbrocken, durch deren Spalten wieder etwas Tageslicht dringt. Es ist wirklich ein faszinierender Ort. Ich machte ein paar Fotos (ein Blitzgerät hatte ich dabei), dann ging die Reise weiter.

Die nächste Hütte auf einer Insel namens Iso Jääsaari war nur sechs Kilometer entfernt, und auch sie war schnell erreicht. Eine weitere Hütte hätte ich wohl auch erreichen können, aber sie liegt an einer langen, schmalen Wasserstraße zwischen zwei Inseln, wo ich befürchten musste, dass die Bäume mir den Wind wegnehmen. Deshalb blieb ich hier, obwohl es erst später Nachmittag war. Eigentlich stehen hier zwei Hütten: eine konventionelle Blockhütte mit Telefon und Ofen sowie ein pyramidenförmiges Gebäude, das fast nur aus einem Dach besteht. In der Mitte befindet sich eine offene Feuerstelle mit einem Grillrost. Der Rauch zieht oben durch eine offene Dachluke ab. Ringsum befinden sich Bänke, die breit genug sind, um darauf schlafen zu können. Leider bewirkt die Dachluke, dass diese Art von Hütten nicht gerade mückensicher ist, aber ein kleines Feuer schafft da schnell Abhilfe. Weil in dem Blockhaus schon ein paar Leute waren und ich meine Ruhe haben wollte (erfahrungsgemäß sind die meisten Naturliebhaber grässliche Frühaufsteher), zog ich die Pyramide vor.

Kurz vorher hatte ich noch einen hohen Felsen gesehen. Er steht etwa einen Kilometer westlich von den Hütten entfernt. Also machte ich mich erst mal auf, um meine Kameraausrüstung dorthin zu schleppen. Es war ein sehr beschwerlicher Weg quer durch den Wald, über Felsbrocken und durch sumpfiges Gelände. Umso ärgerlicher, dass ich mal wieder mein Mückenspray in der Hütte vergessen hatte und mich deshalb nicht allzu sehr entblößen wollte. Als ich dann noch die Felswand hochgestiegen war, war ich schweißgebadet. Aber die Aussicht auf das von der Abendsonne angestrahlte Inselgewirr im Osten entschädigte mich voll für alle Mühen. Ich machte ein paar Aufnahmen, ruhte mich aus und marschierte wieder zurück. Nach einem reichlichen Abendessen legte ich mich dann zur Ruhe.

Iso Jääsaari: Blick von der Felsenhöhe

2. Tag

Der nächste Tag brachte schwachen Wind und reichlich Wolken. Ich segelte nach Westen und brauchte mehrere Stunden für zehn Kilometer. Dann frischte der Wind auf, und die Wolken verdichteten sich. Ich legte an einer kleinen Insel an und zog mein Ölzeug über. Kaum war ich weitergesegelt, fing es auch schon an zu regnen. Es hört zwar nach einer halben Stunde wieder auf, aber auch der Wind stellte seine Arbeit ein. Ich schöpfte das Regenwasser aus meinem Boot und dümpelte eine Stunde vor mich hin. Dann regte sich wieder ein spürbares Lüftchen und brachte mich langsam aber sicher die letzten fünf Kilometer weiter Richtung Nordwest zu der Hütte auf einer Inselgruppe namens Souvasaaret.

Hier steht ein alte, winzige, halb kaputte Blockhütte und daneben wieder eine der schon erwähnten pyramidenförmigen Schutzhütten. Während ich noch mein Gepäck aus dem Boot holte, legte ein Motorboot mit zwei Familien an. Sie hatten ein paar Fische gefangen und benutzten die Feuerstelle, um sie zu grillen und Kaffee zu kochen. Einer der Männer bot mir ein Stück Seeforelle an und sagte, dass er zwei Stunden lang mit ihr gekämpft hatte, bis er sie aus dem Wasser ziehen konnte. (Es schmeckte herrlich, aber angesichts des dafür notwendigen Anglerglücks und der Mühen wird das Angeln trotzdem nicht mein Hobby werden. Da verlasse ich mich doch lieber auf mitgebrachte Konserven, Tütensuppen und Müsli.) Nach dem Essen tuckerten die Leute zurück nach Veskoniemi, und ich war wieder allein. Ich erkundete noch ein wenig die Insel, aber so schöne Fotomotive wie am Vorabend fand ich nicht mehr.

Links die alte Hütte, rechts die "Pyramide", dazwischen die Feuerstelle
Ukko

3. Tag

Am nächsten Morgen war es ein wenig dunstig. Ein mäßiger Wind brachte mich nach Westen zu der sechs Kilometer entfernten Insel Ukko. Diese ist eine echte Sehenswürdigkeit: nur 300 Meter lang, aber mit ihren bis zu 30 Meter hohen, steilen Felswänden unterscheidet sie sich deutlich von allen anderen finnischen Inseln, die eher flach sind. Auf dieser Insel hatten früher die Ureinwohner Rentiere geopfert, wie Ausgrabungen gezeigt hatten. Auch hier gibt es Stege zum Anlegen und Informationstafeln. Oben hat man eine herrliche Aussicht auf die vielen Inseln ringsum. Jetzt drang auch die Sonne durch den Dunst, als ich zu der einen Kilometer nordwärts liegenden Insel Hautuumaasaari segelte. Auf der 200.000er Karte ist hier nämlich das Symbol für eine Ruine eingetragen, die ich mir ansehen wollte. Zuerst aber fand ich am Nordufer einen wunderbaren gelben Sandstrand, der an einer Stelle sogar ein Art kleine Lagune bildete. Zusammen mit dem blauen Himmel und den grünen Kiefern bildete dies die richtige Kulisse, um ein paar schöne Fotos von meinem Segelboot zu machen. Dann suchte ich die Ruine, fand aber nur ein paar Gräber und uralte Holztafeln. Offensichtlich war früher einmal der tiefe Sandboden (die meisten Inseln haben ja nur eine dünne Humusschicht über dem felsigen Untergrund) als Grabstätte benutzt worden. Deshalb hat der Name der Insel wohl auch eine gewisse Ähnlichkeit mit dem finnischen Wort für Friedhof.

Blick vom Gipfel der Insel Ukko Strand von Hautuumaasaari

Nun segelte ich weiter nach Nordosten. Die nächste Schutzhütte war kaum zu erreichen. Also hieß es, Ausschau nach einem geeigneten Zeltplatz zu halten. Dies ist äußerst schwierig. Ein Zeltplatz muss folgende Bedingungen erfüllen: die Bäume müssen weit genug auseinanderstehen, damit ein Zelt zwischen ihnen Raum findet, der Boden muss einigermaßen eben und waagerecht sein, und der Sand oder Humus muss dick genug sein, damit die Heringe stecken bleiben. Nach meinen Erfahrungen sind solche Stellen ziemlich rar, zumindest in Ufernähe.

Nach sieben Kilometern hatte ich die Insel Hietasaari erreicht, die einen sehr langen, schmalen Ausläufer hat. Dieser zeigte sich fast unbewachsen und schien auch mit einer dicken Humusschicht bedeckt zu sein. Während ich noch überlegte, ob ich hier bleiben sollte (es war immerhin schon 21 Uhr), frischte plötzlich der Wind auf. Die Schützhütte auf der Insel Kahkusaari war zwar noch ein gutes Dutzend Kilometer entfernt Richtung Nordost, während der Wind aus Osten blies. Schräg gegen den Wind zu segeln heißt nun mal geringe Geschwindigkeit, aber ich versuchte es trotzdem. Ich kam auch gut voran bis zu einer engen Stelle zwischen zwei Inseln, wo die Bäume mir den Wind wegnahmen. Danach kam eine weite, offene Wasserfläche, was nicht nur kräftigen Wind, sondern auch hohe Wellen brachte. Hin und wieder klatschte eine Welle an meinem Bug hoch, und der Wind trieb die Spritzer massenweise in mein Boot hinein, aber das konnte mich nicht erschüttern. Genau um Mitternacht erreichte ich die Hütte.

Hier waren zwei Profi-Angler am Werke. Sie besaßen ein großes und ein kleines Motorboot und waren mit mehreren Angeln und Netzen ausgerüstet. In der Schutzhütte (konventionelles Blockhaus mit Telefon) war der Ofen schon angeheizt. Während ich es mir gemütlich machte und mein Abendessen kochte, kamen die Männer herein. Wir wechselten ein paar Worte, dann meinten sie, sie würden in ihrem Boot schlafen, damit ich meine Ruhe hätte. Das fand ich sehr nett, denn ich wollte nach dieser langen Tour ja nicht unbedingt am nächsten Morgen geweckt werden.

4. Tag

In der Nacht ging ein fürchterlicher Regen nieder, und ich war froh, nicht in meinem Zelt geschlafen zu haben. Ich schöpfte das Regenwasser aus meinem Boot, frühstückte und segelte los. Da ich nun schon vier Tage unterwegs war, dachte ich, es sei nun Zeit, wieder zurück zu fahren, also Richtung Südost.

Geglückte Flucht vor Sturm und Wellen

Kaum war ich einen Kilometer weit gekommen, fing es an zu regnen. Die nächste Insel war mir zu weit weg, also holte ich bei voller Fahrt mein Ölzeug hervor und zog es an. Es war nicht leicht, dabei den Kurs zu halten, aber es gelang mir so einigermaßen. Kaum hatte ich es geschafft, verwandelte der Regen sich zu einem wahren Wolkenbruch. Außerdem frischte der Wind immer stärker auf. Schon bildeten sich die ersten Schaumkronen auf den Wellen. Da hielt ich es doch für angebracht, die nächste Insel anzusteuern. (Mein Boot ist zwar sehr stabil, damit zu kentern ist kaum möglich, doch wegen der völlig offenen Bauweise ist es hineinschwappenden Wellen schutzlos ausgeliefert.) Zudem drehte noch der Wind, den man schon fast Sturm nennen konnte, und kam jetzt von hinten. Er jagte mein Boot in noch nie erlebter Geschwindigkeit vor sich her. Einerseits war mir das lieb, weil damit die rettende Insel umso schneller näher kam, andererseits begann vorn das Wasser ins Boot zu schwappen. Der Rückenwind drückte nämlich den Bug deutlich nach unten, sodass dieser unter die Bugwelle tauchte, die sich bei dieser großen Geschwindigkeit ziemlich hoch auftürmte. Es half alles nichts: ich musste das Segel locker lassen, damit es sich nach vorn drehte und so dem Wind weniger Angriffsfläche bot. Auf diese Weise erreichte ich die Insel und schaffte es auch, die im Wasser liegenden Steine zu umschiffen. Nicht dass mein Boot Schaden nehmen könnte, dazu ist der Kunststoff des Rumpfes zu weich und nachgiebig, aber ich hätte ja festsitzen können und wäre dann vielleicht doch noch ein Opfer der hereinbrechenden Wellen geworden. Ich zog das Boot auf das steinige Ufer und wartete. Nach einer halben Stunde hörte der Regen auf. Ich schöpfte das Wasser aus dem Boot, und nach einer weiteren halben Stunde hatten die Wellen auch nicht mehr allzu viele Schaumkronen, sodass ich die Weiterfahrt wagen konnte. Allerdings musste ich erst mal ein Stück gegen den immer noch recht starken Wind rudern, bevor ich das Segel hochziehen und weiter segeln konnte.

Doch ein Unglück kommt selten allein. Nur wenige hundert Meter weiter klappte plötzlich mein Steuerruder zur Seite weg. Eine der beiden Schrauben, die die Drehachse halten, war gebrochen! Ich brachte das Ruder wieder in die richtige Lage und hielt es mit beiden Händen fest. Auf diese Weise segelte ich wieder zu der gleichen Insel zurück. Nein, der Schaden war nicht so leicht zu reparieren. Also montierte ich das Steuerruder ab und befestigte eins meiner Ruder mit Hilfe eines Seils so am Heck, dass ich damit einigermaßen steuern konnte. Auf diese Weise segelte ich den Rest des Tages bis zu der zwölf Kilometer entfernten Schutzhütte namens Kaikunuora. Die Sonne kam auch wieder hervor, sodass ich außer mit meiner Ruder-Improvisation keine weiteren Unannehmlichkeiten hatte.

"Kaikunuora" Steinlabyrinth

Bei der Hütte handelt es sich um eine sehr geräumige Blockhütte mit vielen Betten und Gasherd. Außen ist sie traditionell rot und weiß angestrichen. Das Faszinierendste aber ist eine bizarre Steinlandschaft in unmittelbarer Nähe. Auf einer Fläche von weit über hundert Metern Durchmesser liegen unzählige scharfkantige Felsbrocken im flachen Wasser. Ohne große Schwierigkeiten kann man von einem Stein zum anderen springen und sich so durch dieses Labyrinth bewegen. Die Abendsonne tauchte alles in warmes Licht und sorgte für viele eindrucksvolle Fotomotive. Danach ersetzte ich die abgebrochene Schraube meines Steuerruders durch mehrere Schnüre, allerdings mehr schlecht als recht. Mein Problem war, dass ich gar kein Reparaturmaterial dabei hatte. Schließlich opferte ich die Schnur, mit der man die Kapuze meines Schlafsacks zubinden konnte. Mit meinem kleinen Radio hörte ich den Wetterbericht ab. Er versprach niederschlagsfreies Wetter mit Nordwind, also genau das Richtige für die Rückfahrt.

5. Tag

Leider blies der Wind aber am nächsten Tag aus südlicher Richtung und war dazu noch ziemlich kalt. Gegen diesen Wind musste ich nun fast den ganzen Tag ankreuzen, und das mit dem kaputten Steuerruder, dessen Verschnürung sich ziemlich bald lockerte, denn die Schlafsackschnur dehnte sich unter der Belastung immer mehr. Die gesamte Strecke betrug etwa 15 Kilometer, wenn man die kürzeste Verbindung nahm. Durch das Kreuzen verlängerte sie sich natürlich auf gut das Anderthalbfache. Es wurde später, es wurde dunkel. Der Nachthimmel, der zur Sommerzeit im Norden immer hell ist, wurde von schwarzen Wolken verdeckt. So kämpfte ich gegen den Wind an, wobei ich immer mehr Kraft aufwenden musste, um das Steuerruder selbst in der richtigen Lage zu halten, denn die Schnüre gaben immer mehr nach. Zwischendurch spielte ich mit dem Gedanken, irgendwo mein Zelt aufzuschlagen, aber der Gedanke an mein Auto ließ mich weiter durchhalten. Dort konnte ich nämlich bequem schlafen (ich hatte die Rückbank entfernt und dadurch Platz für meine Luftmatratze bekommen), und ganz besonders freute ich mich auf die Heizung. Zum Schluss bekam ich noch echte Probleme mit der Orientierung, weil ich in der Dunkelheit nicht mehr besonders weit sehen konnte. Doch schließlich tauchten hinter einer Insel die Lichter von Veskoniemi auf. Nur noch wenige hundert Meter, dann ließ ich den Bug meines Bootes die Rampe hinauf gleiten. Es war genau 1 Uhr. Die dicken schwarzen Wolken, die diese für nordische Sommernächte völlig untypische Dunkelheit erzeugt hatten, rissen am nördlichen Horizont auf und präsentierten einen rosaroten Lichtstreifen. Völlig erschöpft zog ich mein Boot ein paar Meter hinauf, holte mein Auto, machte meinen Schlafplatz fertig und verstaute sicherheitshalber meine Kameraausrüstung im Auto. So lange ließ ich den Motor und die Heizung laufen, sodass mir im Schlafsack allmählich wieder warm wurde. Dann schlief ich ein.

Doch, trotz aller Probleme war es eine schöne Reise gewesen. Bislang hatte ich Lappland nicht viel abgewinnen können, weil ich es nur mit Wanderungen über kahle, langweilige Fjälls in Verbindung gebracht hatte. Doch der Inari hat meine Einstellung geändert. Dieser See bietet eine sehr abwechslungsreiche Landschaft, in der enge Insellabyrinthe und weite, offene Wasserflächen gut verteilt sind. Hinzu kommen noch die Schutzhütten, von denen ich auf südfinnischen Seen bisher nur eine einzige gefunden hatte. Kurz: ein See, der mich bestimmt wiedersehen wird!

Und zu guter Letzt hat mir der Hersteller des Bootes kostenlos eine neue, verstärkte Rudermechanik geschickt...


Meine schönsten Finnland-Bilder

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