Vorstellung
Gegen sechs Uhr quäle ich mich aus dem Bett und in meinen besten Anzug. Der Bus fährt
nur ein paar Stationen, kurz vor 7 Uhr stehe ich vor dem Haupteingang von Areva. Ein
Auto kommt, der Fahrer winkt mir zu, das muss Herr W. sein, der mein Foto von meinem
Bewerbungsschreiben kennt. Wir begrüßen uns, dann gehen wir hinein, wo ich verschiedenen
Leuten vorgestellt werde. Einem von ihnen erzähle ich genauer, was ich bisher gemacht
habe. Dann werde ich hinausgeschickt, während er mit Herrn W. verhandelt.
Inzwischen studiere ich die Visitenkarte von Herrn W. "Überlassung von Arbeitskräften"
steht dort unter anderem drauf. Bisher hatte ich geglaubt, er wäre eine Art Vermittler,
aber offensichtlich werde ich direkt bei ihm angestellt sein, aber für Areva arbeiten.
So ist es dann auch. Und keiner weiß genau, wann es losgehen soll. Ich werde zwar
dringend gebraucht, am liebsten schon in einer Woche, aber man geht davon aus, dass
das Organisatorische noch länger dauern wird.
Erst aber fahre ich mit Herrn W. zu seinem Büro in einem kleinen Ort. Er hat einen
Vertrag aufgesetzt, an dem er nun noch einige Änderungen vornimmt. "Sie hatten an
3000 Euro gedacht?" fragt er. Ich kann mich absolut nicht erinnern, eine Zahl genannt
zu haben, das muss im Januar gewesen sein, aber natürlich bestätige ich das. Herr W.
überlegt und meint, ob ich auch mit 2800 zufrieden wäre. Das ist immer noch deutlich
mehr als das, was ein Bauingenieur heutzutage erwarten kann, deshalb erkläre ich mich
einverstanden, und Herr W. setzt diese Zahl in den Vertrag ein. Nach einer Weile fragt
er, wie denn die Lebenshaltungskosten in Finnland wären. Ich sage, die sind sehr hoch,
z.B. wäre Finnland eines der teuersten Urlaubsländer. "Wissen Sie was", meint Herr W.
dann, "ich gebe Ihnen 3000." Na, das lasse ich mir gefallen! Und so wird der Vertrag
unterschrieben. Es ist sogar ein unbefristeter Vertrag, was heutzutage wohl eine
Seltenheit ist. Ich soll für etwa zwei Jahre nach Finnland, danach würde er schon
etwas anderes für mich finden, meint Herr W. Ich bekomme noch Formulare für das
Finanzamt mit (es geht um die Vermeidung von Doppelbesteuerung), außerdem muss ich
schnellstens einen Drogentest liefern, das wird in Finnland verlangt.
Dann schauen wir, wie ich nach Hause kommen kann. Zurück nach Frankfurt zu fahren,
wäre ein riesiger Umweg, aber ich muss auch auf der Strecke starten, für die mein
Ticket bestimmt ist. Schließlich kommen wir auf Friedberg, das liegt nicht allzu weit.
Wir fahren zusammen dorthin und gehen erst einmal essen. Dann fahren wir zum Bahnhof.
Herr W. gibt mir einen großem Karton mit, in dem ein Computer steckt, auf dem AutoCAD
installiert ist. Außerdem habe ich eine CD mit zwei Zeichnungen bekommen, damit ich
mich ein bisschen vorbereiten kann. Nun habe ich erst mal Zeit, eine SMS an Lin zu
schreiben und sie über meinen neuen Job zu informieren.
Nach einer halben Stunde kommt der Zug. Er ist komplett überfüllt, es ist eben Urlaubszeit.
Mit Mühe finde ich neben der Toilettentür einen Platz für den Computer und einen Notsitz
in der Nähe. Erst in Kassel werden Plätze in einem nahen Abteil frei, und ich kann es
mir bequem machen. Kurz vor Hannover wird der Zug immer langsamer. Eine
Lautsprecherdurchsage informiert uns, dass Kinder auf den Gleisen spielen und dass wir
daher etwa eine halbe Stunde Verzögerung bekämen. Ich schaue aus dem Fenster: der Zug
steht fast genau auf dem Bahnhof Rethen, also ganz in der Nähe von Laatzen. Kurz
entschlossen suche ich einen Zugbegleiter und frage ihn, ob ich hier aussteigen darf.
Die fünf vordersten Wagen stehen im Bahnhof, sagt er, da darf er mich rauslassen. Er
hilft mir mit meinem Gepäck, öffnet die Tür mit einem Spezialschlüssel, und schon bin
ich draußen. Ich schleppe mein Gepäck zur Haltestelle an der nahen Straße. Die nächste
Straßenbahn kommt bald, und als ich zu Hause ankomme, ist der Zug wahrscheinlich noch
gar nicht losgefahren...
Es ist noch früh genug, Essen zu kaufen und nach Bissendorf zu fahren, wo mein Gospelchor
probt. Ich hatte eigentlich versprochen, anlässlich meines Geburtstages das traditionelle
Essen zu bestreiten, das es (fast) immer nach der Chorprobe gibt. Das gibt natürlich ein
lautes Hallo, als ich entgegen meiner Ankündigung nun doch noch aufkreuze! Ich muss alles
über meinen neuen Job erzählen, dann singen wir ein paar Lieder, die ich auf dem Klavier
begleite, und dann begebe ich mich in die Küche und mache Essen.
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