Das Wetter zeigte sich von seiner besten Seite. Heute abend konnten wir also endlich
mal den Sonnenuntergang fotografieren! Die anderen gingen zu der Steilküste hinter der
Wasserversorgung, um den Sonnenuntergang von ganz oben zu genießen. Dagegen zog ich
eine Stelle auf der Nordspitze unserer Insel vor, um meine Aufnahmen mit malerischen
Palmenblättern "einrahmen" zu können. Ich baute alles auf und wartete darauf, dass
die Sonne sich dem Horizont näherte. Vor mir auf den flachen Felsen bewegten sich
Hunderte von Einsiedlerkrebsen und erzeugten unheimlich klingende Geräusche, wenn
ihre Gehäuse über das Gestein scharrten. Schließlich war es so weit:
ich ließ die Kamera laufen, bis ich die Sonne nicht mehr
sehen konnte. Dann rannte ich mit meiner Ausrüstung nach oben zu den anderen,
aber vergebens. Was in Nordeuropa durchaus funktionieren kann - dass man nach einem
schnellen Aufstieg noch einen zweiten Sonnenuntergang zu sehen bekommt - ist in den
Tropen ein sinnloser Versuch, weil hier die Sonne viel zu schnell untergeht.
Während wir gemeinsam noch den Anblick des rot gefärbten Himmels genossen, berichtete
ich von einer mir seltsam erscheinenden Beobachtung. Während die Sonne unterging,
war mir aufgefallen, dass sie sich ein wenig nach links bewegt hatte. Das kam mir
merkwürdig vor, denn die Fidschi-Inseln liegen nördlich des südlichen Wendekreises,
die Sonne sollte jetzt Anfang Januar sich nahe des Wendekreises befinden, also müsste
die Sonne südlich von mir stehen - und das müsste bedeuten, dass die Bahn der Sonne
ähnlich verläuft, wie wir es in Europa gewohnt sind, und hier bewegt sich die Sonne
beim Untergehen nach rechts. Solche Beobachtungen und Überlegungen waren den
Australiern jedoch fremd, sie konnten nichts dazu sagen. Erst viel später diskutierte
ich diese Sache im Internet, wobei herauskam, dass nicht der Stand der Sonne
entscheidend ist, sondern allein mein Aufenthaltsort oder genauer gesagt: der Winkel
meines Körpers in Bezug auf die Erdachse.
Nun gingen wir wieder hinunter zum Hauptgebäude. In der Nähe war ein Mann dabei,
das Abendessen aus dem traditionellen Erdofen ("Lovo")
zu holen. Es schmeckte wieder einmal hervorragend (außer - wie bereits erwähnt - die
Süßkartoffeln). Anschließend wurde ein Gesangswettbewerb veranstaltet. Das
hieß, jeder von uns sollte etwas vortragen, zum Beispiel seine Nationalhymne oder
irgend etwas anderes. Ich lieh mir eine Gitarre aus und versuchte mich an "La
Paloma". Mein Vortrag verlief ziemlich jämmerlich, weil ich den Text nur
lückenhaft im Kopf hatte und weil mir die Tonlage zu hoch war - aber besser
passende Akkorde beherrschte ich nun mal nicht. Anschließend übersetzte ich noch
ein paar Zeilen auf englisch, um die Segelschiff-Romantik des Liedes verständlich
zu machen. Dann sangen Jacinta und Debbie gemeinsam die australische Nationalhymne,
aber auch sie kamen mit dem Text ins Stocken und brauchten einen zweiten Anlauf.
Nur Andrew trug die englische Nationalhymne mit Bravour vor - seine Eltern waren
mit ihm als Teenager nach Australien ausgewandert. Stuart war nach dem Essen gleich
schlafen gegangen. Den Abschluss bildete (natürlich außer Konkurrenz) die
Nationalhymne der Fidschis, von der Spirit-Besatzung mit der rechten Faust auf
dem Herzen vorgetragen, mehrstimmig und volltönend. Schließlich wurden wir allesamt
zu Siegern erklärt und bekamen zusammen zwei Flaschen Sekt.
Dann setzten wir uns an den Strand, wo bereits ein
riesiges Feuer brannte. Sie nannten es "bonfire", und Andrew erzählte
die Geschichte des verhinderten Attentäters Guy Fawkes, zu dessen Gedenken man
in England jährlich die "bonfire night" veranstaltet, weil im Jahre 1605 sein
Versuch, das gesamte Parlament in die Luft zu sprengen, rechtzeitig bemerkt
und vereitelt worden war. Viel mehr geschah allerdings nicht mehr an diesem
Abend. Wir waren alle ziemlich müde und gingen bald schlafen.
Am nächsten Morgen ging es früh an Bord, wo wir erst einmal das Frühstück
nachholten. Bei lärmendem Dieselmotor aßen wir Toast mit Marmelade und Mangos.
Aber der Wettergott hatte Mitleid mit uns. Ein kräftiger Wind wehte aus der
richtigen Richtung, sodass der Kapitän beschloss, die Segel setzen zu lassen
und den Diesel abzuschalten. Das Schiff hatte reichliche Schräglage und
schaukelte so stark wie nie zuvor auf unserer Reise. Das Vorderdeck war nass
und glatt, weil die Gischt der Bugwellen immer wieder über die Bordwand spritzte
und vom Wind über die Planken verteilt wurde. Trotzdem schaffte ich es mit etwas
Glück, an die vorderste Spitze des Schiffs zu gelangen, ohne nass zu werden oder
gar über Bord zu fallen. Von hier vorn konnte ich ein
paar spannende Aufnahmen machen. Wir warteten immer noch vergeblich
darauf, endlich mal Delphine zu sehen. Immerhin sahen wir ganz kurz in der Ferne
Wasser aufspritzen: eine paar Thunfische, wie uns erklärt wurde.
Nach ein paar herrlichen Stunden wurde wieder der Diesel angeworfen. Der Koch
verwöhnte und mit einem letzten Mittagessen. Dann bekamen wir Fragebögen, auf
denen wir unsere Segelsafari beurteilen sollten. Klar, dass wir fast nur
Bestnoten verteilten! Wir wurden nach unseren weiteren Plänen gefragt, um
das Nötige zu organisieren. Ich sagte, ich wolle mit dem Bus nach Pacific
Harbour fahren. Der Kapitän überraschte mich damit, dass er per Funk ein
Taxi organisierte, das mich vom Hafen zur Busstation bringen würde - wirklich
ein hervorragender Service!
Schließlich kam der Hafen in Sicht, das Tempo wurde gedrosselt. Die Besatzung
trat an und sang für uns das traditionelle Abschiedslied "Isa lei". Wir
sammelten Trinkgeld für die Besatzung. Zwei Männer gaben mir ihre Adressen,
weil sie gern Kopien meines Urlaubsvideos bekommen wollten. Auch wir fünf
Gäste tauschten unsere E-Mail-Adressen aus. Dann hieß es Abschied nehmen,
mein Taxi wartete schon.