Ja, ein neuer Computer sollte her, nur welcher?
Eins war klar: sein Herz musste wieder ein Z-80 sein. Als mir im
Herbst 1985 diese Zeitschrift in die Hände kam, in der eine
ausführliche Beschreibung des BigBoard II sowie ein
komplettes Schaltbild abgedruckt war, hatte ich den richtigen
gefunden. Es war ein Computer von Bastlern für Bastler. Als
Betriebssystem diente ZCPR2, eine public domain-Nachprogrammierung
von CP/M, und das hieß: der gesamte, kommentierte Quellcode
des Betriebssystems mitsamt seinen Utilities gehörte zum
Lieferumfang!
Es handelte sich um einen Bausatz, der aus den USA über Holland
in Deutschland verkauft wurde. Der Bausatz beinhaltete die Platine
sowie alle Bauteile. Nun ging ein verschärftes Löten los,
bis die knapp 3000 Anschlüsse der IC-Sockel, Wiederstände,
Kondensatoren etc. fertiggestellt waren. Gleichzeitig besorgte ich mir
noch einen bernsteinfarbenen Monitor, ein Diskettenlaufwerk und (nach
stundenlangem Wandern 1986 über die erste CeBIT) eine wunderbar
flache und weiche RAFI-Tastatur. Diese wählte ich, weil man bei
ihr die Tasten umlöten konnte, also die ganze Anordnung
verändern und das neue Layout in ein EPROM brennen konnte.
Schließlich war alles fertig. Ich schaltete den Strom ein, und -
nichts passierte. Naja, hätte mich ja auch gewundert! Was tun?
Ich entfernte die CPU und steckte lauter Drahtbrücken in ihren
Sockel, die ich so mit Plus und Minus verband, dass sie den Zustand
simulierten, in dem die CPU das erste Byte des BIOS-EPROM auslesen
will. Ich kontrollierte, ob die so erzeugten Steuersignale auch
tatsächlich beim EPROM ankamen, und dann kontrollierte ich, ob
die Bits dieses Bytes auch bei der CPU ankamen. So entdeckte ich einen
winzigen Lötzinnspritzer, der zwei Datenleitungen miteinander
kurzschloss. Nachdem dieser und noch ein zweiter entfernt war,
funktionierte schon mal das BIOS, das ein paar rudimentäre
Befehle ausführen konnte.
Nur booten wollte der Computer nicht. Mit Hilfe der BIOS-Befehle
fand ich heraus, dass auf meinen Disketten die Spur 0 leer war.
Der Hersteller hatte schlicht und einfach vergessen, das
Betriebssystem zu kopieren. Und dieser hatte inzwischen Pleite
gemacht, denn von dem Bausatz waren in Deutschland nur etwa 50
Stück verkauft worden - viel weniger als geplant. Da war also
nichts mehr zu holen. So wandte ich mich an elektor, deren Mitarbeiter
mir eine bootfähige Systemdiskette schickte.
Nun lief die Kiste also, und ich fing an, CP/M zu studieren. Ich fand
es allerdings völlig unakzeptabel, dass sie nicht konnte, wozu der
MZ-80K fähig war: deutsche Umlaute darstellen. Also verband ich den
Sockel, in dem eigentlich der Zeichengenerator steckte, über ein
Flachbandkabel (A) mit einer selbst entwickelten Elektronik, die diesen
simulierte, wobei ich die Zeichen nach meinen Entwürfen auf ein EPROM
gebrannt hatte. Je nach Stellung eines Schalters am Gehäuse wurden
amerikanische oder deutsche Zeichen (z.B. "ä" statt
"{") dargestellt. Außerdem lötete ich auf den
Programmiersockel (jawohl, so etwas gab es beim BigBoard II gleich
serienmäßig!) eine Klemmfassung (B) für große
EPROMs bis hin zum 27128, wobei ein Codierrad die zusätzlichen
Adressen lieferte und ein Schalter es möglich machte, auch das
EEPROM 2816 zu bearbeiten. Später kam noch eine 1 MB-RAM-Disk
hinzu (C) sowie eine über ein langes Kabel (D) angeschlossene,
selbst entwickelte Hardware-Uhr, sodass ich nach dem Einschalten nicht
mehr die aktuelle Zeit eingeben musste. Das Betriebssystem enthielt
bereits alle nötigen Routinen für diese beiden Erweiterungen,
man musste sie nur auf TRUE setzen, ein bisschen anpassen und alles neu
kompilieren lassen.
Ich stellte bald fest, dass sich elektor um den BigBoard II nicht
weiter kümmerte. Der Mann, der den Artikel in der abgebildeten
Zeitschrift geschrieben hatte, hatte gekündigt, und die anderen
Leute favorisierten leider den 6502 und dessen Abkömmlinge. Also
kontaktierte ich Andy Bakkers, der in den Niederlanden nahe Nordhorn die
Firma Twente Digitaal betrieb und sich um die Verbreitung des
BigBoard II bemühte. Ich fuhr sogar zu ihm hin, um ihm meinen
deutschen Zeichengenerator vorzuführen. Von ihm bekam ich Disketten
mit wunderbaren Programmen: das legendäre WordStar 3.0 und das
ebenso legendäre MBASIC. Nun konnte ich endlich vernünftig
programmieren, sowohl in BASIC als auch in Assembler. Schluss also mit
der HEX-Eingabe!
Im Laufe der Zeit entstanden diverse Utilities, z.B. komfortable
Directory-Anzeigen. Durch ein ausführliches Buch zum Thema
Makro-Assembler-Programmierung lernte ich, Routinen für das Lesen
und Schreiben von Dateiheadern und -Blöcken zu schreiben, also
Dinge, über die man sich heutzutage überhaupt nicht mehr
den Kopf zerbricht. Da ich nunmehr alle meine ganzen Briefe mit
WordStar schrieb, entwickelte ich ein Programm, das die fertig
editierten Texte auf meinem TAXAN Drucker in Schönschrift und in
sauberem Blocksatz ausdruckte, indem es die Breite der vorhandenen
Buchstaben addierte (im Druckerhandbuch waren alle notwendigen Daten
dafür angegeben) und daraus berechnete, wie breit die Leerzeichen
zwischen den Wörtern sein mussten.
Über Andy Bakkers erhielt ich auch die RAM-Disk, die sich wahrer
Segen erwies. Sobald alles (WordStar, M80, L80) auf sie kopiert war,
lief alles superschnell, denn WordStar holte viele Routinen immer
wieder bei Bedarf von der Diskette, was jedes Mal eine Verzögerung
bedeutete. Auf der RAM-Disk bemerkte man davon nicht mehr viel. Auch
das komplette Kompilieren und Linken des Betriebssystems dauerte nur
noch wenige Minuten, während dieser Vorgang auf Disketten
über eine halbe Stunde benötigte. Und absolut
geräuschlos war das Arbeiten: kein Laufwerk schnurrte, und
Lüfter waren sowieso nicht vorhanden.
Und irgendwann begann ich mich für Datenfernübertragung zu
interessieren. Es gab immer mehr Mailboxen, über die man mit anderen
Computerfreaks Kontakt aufnehmen konnte, Programme runterladen etc. Ich
besorgte mir also einen Akustikkoppler und nahm als erstes Kontakt zu der
"Aquila" in Langenhagen auf. Von dort aus wechselte ich bald zur
"Hannover by byte" über, deren System mir viel besser
gefiel. Diese wurde mein Stamm-Mailbox für viele Jahre, mein
Username war "Paul Propellertrieb".
Bald nach meinem Einstieg annoncierte ein HBB-User neue, schnelle Modems,
die 2400 Baud brachten. Kurz entschlossen kaufte ich mir ein solches.
Wunderbar, wie die Zeilen nun über den Bildschirm rasten! Nur dass am
Anfang vieler Zeilen immer ein paar Zeichen fehlten. Nach langem Forschen
kam ich dahinter: der BigBoard II brauchte für das Erzeugen eines
Zeilenvorschubs relativ viel Zeit, und währenddessen wurde der
Modem-Port nicht abgefragt, sodass Zeichen verloren gingen. Aber zum
Glück hatte ich ja auch von SMODEM, meinem DFÜ-Programm, den
Quellcode. Mit Hilfe eines anderen HBB-Users, der ebenfalls ein Z-80-Freak
war, kam ich zu dem notwendigen Know-How, die serielle Schnittstelle
Z-80 SIO im Interruptmodus zu betreiben und einen FIFO-Speicher zu
programmieren, sodass nunmehr keine Zeichen mehr verloren gehen konnten.
In der HBB überkam mich auch die Spielsucht. Dort lief
nämlich MUD (Multi User Dungeon). Zusammen mit anderen Usern
konnte man in einer virtuellen Landschaft herumlaufen, kommunizieren
und Gegenstände sammeln, die Punkte einbrachten. Irgendwann bekam
ich mit, dass einige User kleine Scripts laufen ließen, um ihre
Spielfiguren schnell von einem Punkt zum anderen laufen zu lassen. Das
inspirierte mich zu meinem AutoMUDder: einem Assemblerprogramm, das
viele Routen gespeichert hatte, und das die Spielfigur beim Antreffen
eines Gegenstandes diesen aufheben ließ, im Dunkeln Licht
anmachte, falls eine Lampe oder Kerze im Besitz war usw.
Ich war natürlich nicht der einzige, der sich nächtelang im
MUD herumtrieb. Kein Wunder, dass die Telefonleitungen der HBB
ständig besetzt waren. Ich schrieb deshalb mir ein Programm, das
als TSR im Hintergrund lief und die Nummern der HBB so lange
anwählte, bis eine der Leitungen frei war. Währenddessen
konnte ich im Vordergrund z.B. mit WordStar arbeiten.
Aber auch das wurde irgendwann langweilig. Über eine HBB-Userin
bekam ich Kontakt zur "harlie" und zur "veeble"
- zwei Rechner des
HanNet-Vereins,
der sich schon sehr früh mit dem Usenet, email-Versand und
Internet beschäftigte. Auf der veeble lief
Nethack, das
ein noch größeres Suchtpotenzial hatte. Ich darf in aller
Bescheidenheit erwähnen, dass ich der erste war, der auf der
veeble das Amulett von Yendor seinem Gott opferte und somit
das Spiel lebend beendete.
Durch Usenet und emails bekam ich Kontakt zu einem Münchener
Computer-Club, der mich zu einem Treffen einlud, wo ich meinen
BigBoard II ausstellte. Natürlich wurden auch fleißig
Programme getauscht, wobei es sich als sehr vorteilhaft erwies, dass
der BigBoard II durch sein VARBIOS in der Lage war, alle
möglichen fremden Diskettenformate zu verarbeiten. Hierbei
lernte ich auch Helmut Jungkunz kennen, für den CP/M und
dessen Abkömmlinge der Lebensinhalt zu sein schien.
Das Bessere ist des Guten Feind. In unserem Büro wuchs die
Datenmenge, die Arbeit mit unserer CBM 8296 wurde immer
umständlicher, und wir schafften einen 386 SX mit einer
20 MB-Festplatte an. Ich sah, welche Möglichkeiten man mit
DOS 3 und mit GWBASIC, mal abgesehen von dem bequemen Arbeiten
mit der Festplatte. Dass wir im Büro etwas Besseres hatten als
ich zu Hause, fand ich sowieso ziemlich unbefriediegend, also musste
etwas Neues her.
Mein BigBoard II ist natürlich immer noch voll
funktionsfähig. Ich stellte ihn im April 2000 auf dem
Vintage Computer Festival Europa aus. Dabei musste ich
feststellen, dass beim Auslesen der Hardware-Uhr ein Jahr-2000-Bug
auftauchte. Ich nutzte die Zeit während der Ausstellung, um
"live und in Farbe" den Fehler aufzuspüren, zu
korrigieren und ein neues Betriebssystem zu kompilieren und auf
meine Systemdisketten zu spielen. Es war nicht einfach, da ich im
Laufe der Zeit doch vieles vergessen hatte, aber nach und nach kamen
die Erinnerungen wieder. Helmut Jungkunz, der lange im Internet nach
mir gesucht hatte, um mich zu dem Festival einzuladen, klebte mir
eigenhändig eine kleine "Y2K checked"-Plakette auf
das Gehäuse.
Schließlich nahm ich den BigBoard II im Jahr 2008 noch einmal in
Betrieb: als "Darsteller" in meinem Beitrag zum Videowettbewerb der c't,
der immerhin den 3. Platz errang.