Am späten Nachmittag war es dann so weit: die Besichtigung des Vulkans stand bevor.
Die flachen Südsee-Inseln sind meist durch Korallenwachstum entstanden, die
bergigen durch Vulkantätigkeit. Für die Inseln von Vanuatu gilt überwiegend
letzteres. Sie erstrecken sich ziemlich genau entlang der Grenze zwischen der
australischen und der pazifischen Kontinentalplatte, und solche Grenzen sind
immer Gebiete von Vulkanismus. In Vanuatu findet man mehrere aktive Vulkane,
aber der Vulkan Mt. Yasur auf Tanna gilt als der am leichtesten
besteigbare aktive Vulkan der Welt, er gehört mit seinen ca. 360 m auch zu
den kleinsten.
Kelson sagte mir, ich solle bis zu der nahe gelegenen großen Kreuzung gehen,
dort würde mein Führer auf mich warten. Es handelte sich um einen 16-jährigen Jungen
namens Mikel. Wir marschierten etwa eine gute halbe Stunde bergauf
durch den tropischen Regenwald, vorbei an Palmen und Riesenfarnen und mit dem
Lärm der Zikaden im Ohr, dann ließen wir die Pflanzenwelt hinter uns. Der
Boden war jetzt nackt und mit vielen Gesteinsbrocken übersät, die der Vulkan
irgendwann einmal ausgespieen haben musste. Mikel zeigte mir ein kleines Loch
in einer niedrigen Böschung am Wegesrand: hier traten übel riechende Gase aus.
An anderen Stellen stiegen weiße Dampffahnen vom Boden auf, aber das alles schien
nicht weiter dramatisch zu sein, jedenfalls ging Mikel immer nur barfuß.
Schließlich endete der Weg an einer Ebene, wo mit Hilfe von ausgelegten
Gesteinsbrocken ein großer Parkplatz angelegt worden war. Mikel erklärte mir,
dass hier vor kurzem eine Folge der Survival-Reality-Show
Survivor
des amerikanischen Senders CBS gedreht worden war, normalerweise kommen hier
nicht so viele Autos her. Von hier aus führte ein schmaler Trampelpfad hinauf
zum Krater.
Oben stellte ich fest, dass es sich nicht nur um einen Krater handelte, sondern
gleich um zwei. Vom Kraterrand ging es erst einmal steil hinunter und dann relativ
flach auf den Schlot zu, wir standen also vielleicht 50 m vom Schlot entfernt
weit über dem Rand des Schlotes - da waren wir sicher. Der Passatwind kam von
hinten und trieb alle Rauchwolken von uns weg. Der hintere
Krater war selten aktiv, aber der vordere stieß alle paar Minuten unter lautem
Donnern riesige Rauchwolken aus. Klatschende Geräusche verrieten, dass
immer Lava nach oben geschleudert wurde und in den Schlot zurück fiel, aber nur
hin und wieder flog die Lava so hoch, das wir sie auch
sehen konnten. Und manchmal gab es so gewaltige
Ausbrüche, dass es schon fast einem Feuerwerk gleich kam, und dann flogen einige
Lavabrocken sogar über den Rand des Schlotes hinaus und blieben unterhalb des
Kraterrandes liegen. Es war schon ein äußerst beeindruckendes Schauspiel, das dort
die Natur vor unseren Augen vollführte!
Im Laufe der Zeit kamen nach und nach noch mehr Touristen mit ihren Führern zu
uns hinauf gestiegen. Irgendwie machten die anderen Führer einen professionelleren
Eindruck: sie hatten Schuhe an und trugen Handlampen bei sich. Mikel war zwar
ein netter Kerl, der mir viel gezeigt und erklärt hatte, aber er hatte mich auch
nicht gewarnt, als ich einen kopfgroßen Lavabrocken aufhob und angesichts seines leichten
Gewichts ein paar Mal in die Luft warf und wieder auffing. Ehe ich es mich versah,
waren ein paar kleine blutende Wunden an der rechten Hand entstanden, denn der mit Blasen
übersäte Brocken hatte auch ein paar kleine scharfe Spitzen. Mikel hatte sich zwar
entschuldigt, aber er hätte mich ja auch vorher warnen können.
Zuletzt standen vielleicht 15 Touristen nebeneinander am Kraterrand, schauten
hinunter und fotografierten. Auch die Franzosen von heute morgen waren dabei.
Zweimal gab es kurze Regenschauer, aber ich hatte nach meinem Motto "lieber zu viel
Ausrüstung als zu wenig" auch meinen Schirm mitgenommen, um mich und vor allem meine
Kamera zu schützen. Wir alle warteten auf die Dunkelheit, denn der Vulkan hatte
zwei Gesichter: bei Tageslicht sah man die Rauchwolken am besten und in der Nacht
die Lava. Und wir wurden nicht enttäuscht, es gab jede Menge Feuerwerk. Nachdem es
richtig dunkel geworden war, begann plötzlich Nebel aufzuziehen. Die anderen
Touristen nahmen dies zum Anlass, zu ihren Autos hinabzusteigen. Ich hatte aber
noch 10 Minuten Band auf der Cassette, die wollte ich noch aufnehmen. Und das war gut
so, denn jetzt kam noch eine der größten Eruptionen des
Abends! Der Nebel wurde allmählich dichter, und Mikel schien langsam nervös zu
werden. War es der Nebel oder die Dunkelheit? Er drängte mich mehrmals, aufzubrechen.
Schließlich gab ich nach, auch wenn die Cassette noch nicht voll war. Ich packte meine
Sachen zusammen, und Mikel fragte mich, ob ich eine Taschenlampe hätte. "Klasse Führer",
dachte ich bei mir. Aber ja, ich hatte wie immer meine winzige Lampe in der Größe
meines kleinen Fingers dabei. Mit ihrer Hilfe fand Mikel den Weg durch Dunkelheit
und Nebel zurück zum Parkplatz, dort war die Sicht wieder klarer. Und da stand
noch ein Geländewagen, in dem wir gerade noch Platz fanden. Dieser brachte uns
zu der Kreuzung zurück, wo wir gestartet waren - stark schaukelnd auf dem
schlechten Weg, aber doch viel schneller als zu Fuß. Der Wagen gehörte einem der
Parkwächter, die das Gelände um den Vulkan betreuen. So konnte ich gleich noch
die Besichtigungsgebühr von
2000 VUV
entrichten.
Im Resort wartete schon das Abendessen auf mich. Der Vulkan blieb jedoch präsent,
sein Donnern aus der Ferne kannte keine Tageszeiten. Das Licht aus seinen Schloten
hüllte hoch oben die Wolken in ein rotes Glühen. Schon 1774 hatte der Lichtschein
des Mt. Yasur den Entdecker James Cook angelockt wie ein natürlicher Leuchtturm.